
Das Jahr 2024 war für mich voller Höhen und Tiefen, es war das wahrscheinlich ereignisreichste Jahr meiner bisherigen sportlichen Karriere.
Im Januar konnte ich mich auf internationaler Bühne beweisen und mich gleichzeitig gegen meine nationale Konkurrenz durchsetzen. Mit der Bronzemedaille beim Weltranglistenturnier in Kroatien sicherte ich mir als beste Deutsche in der Gewichtsklasse bis 53kg den Startplatz auf dem ersten Olympia-Qualifikationsturnier in Baku. Dort zeigte ich allen was in mir steckt, besiegte im ersten Kampf die Polin, die bereits 2021 in Tokio in der Gewichtsklasse bis 57kg auf olympischer Matte an den Start ging. Im zweiten Kampf konnte ich einen knappen Sieg gegen die mehrfache Europameisterin aus Ungarn einfahren. Im alles entscheidenden Halbfinalkampf stand mir schließlich die mehrfache Europameisterin aus Rumänien gegenüber. Mit 4:5 Punkten musste ich mich am Ende geschlagen geben und fuhr ohne Olympiaticket nach Hause. Das Ergebnis war zwar bitter, ich wusste jedoch wie nah ich dran bin und dass ich es schaffen werde.
Ich wurde nach meinen Leistungen in Baku auch für das zweite Olympia-Qualifikationsturnier nominiert und fuhr wenige Wochen später nach Istanbul. Dort traf ich im ersten Kampf gegen die Lokalmatadorin aus der Türkei. Der ausgeglichene Kampf wurde am Ende durch fatale Schiedsrichterentscheidungen zu Gunsten der Türkin entschieden, dass hier ein grober Fehler vorlag war allen Anwesenden direkt klar. Doch auch ein Protest des Deutschen Ringer-Bundes gegen diese unverständliche Schiedsrichterentscheidung konnte mich nicht zurück in den Turnierverlauf bringen. Mein Traum von Olympia war geplatzt.
Die nächsten Stunden, Tage und Wochen waren nicht einfach. Alle Mühen der letzten Jahre fühlten sich sinnlos an, der Betrug in Istanbul war schmerzhaft. Und doch konnte ich nach einiger Zeit gut abschalten und mit genügend Abstand zum Ringen auch vergessen oder verdrängen, was passiert war.
Bis ein Anruf vom Bundestrainer kam. Er sprach von dem Rückzug der Athletinnen und Athleten aus Weißrussland und dass die russischen Sportler möglicherweise folgen. Dann würden neue Sportler nachrücken, ich wäre die Nächste auf der Liste. Das hört sich zwar alles schön und gut an, für mich war es jedoch klar, mir keine Hoffnungen zu machen. Das wäre am Ende nur noch schmerzlicher, wenn auch das nicht klappt.
Doch mein Trainer sollte Recht behalten. Schon wenige Tage später kam erneut ein Anruf, in dem er mit kurz und knapp verkündete, ich sei dabei. In Paris. Bei den olympischen Spielen!
Von den tiefsten Tiefen fing ich nun an in hohe Höhen aufzusteigen. Ich darf zu den olympischen Spielen, im olympischen Dorf leben, den olympischen Geist spüren und auf olympischer Matte kämpfen. Es fühlte sich fair an, nun doch dabei zu sein. Auch wenn der Triumph und die Freude über eine direkte Qualifikation am Wettkampf fehlte.
Es ging Schlag auf Schlag und nach der Einkleidung ging es auch schon in Richtung französischer Hauptstadt. Mein Wettkampf rückte näher und am 7. August startete ich in das größte Turnier meiner Karriere. Mit einem Sieg über die Griechin im ersten Kampf besiegte ich eine Gegnerin, gegen die ich bis dato immer den Kürzeren gezogen hatte. Die Stimmung in der Halle trug mich triumphierend von der Matte zurück in die Aufwärmhalle. Dort musste ich mich wieder sammeln, denn im nächsten Kampf sollte die Türkin mir gegenüberstehen, gegen die ich in Istanbul so unglücklich meine Olympiachance verpasst hatte. Nach einem Rückstand von 5 Punkten erwischte ich Sie in einer unachtsamen Situation und schulterte sie. Sieg gegen die Türkin und damit Halbfinale bei den olympischen Spielen!
Ein olympisches Halbfinale kämpfen zu dürfen, fühlt sich unglaublich an. Die Ecuadorianerin lies mir keine Chance zu Punkten und ging als deutliche Siegerin von der Matte. Dennoch war dieser erste Wettkampftag für mich das schönste Wettkampferlebnis, das ich jemals hatte. Und am nächsten Tag steht schon der Kampf um die Bronzemedaille an. Es fühlte sich unwirklich an und gleichzeitig war ich sicher, dass ich die Chance ergreifen werde und mit einer Medaille nach Hause fahren werden.
Wie schon meine ganze olympische Reise war auch der letzte Wettkampftag besonders. Schon nach 19 Sekunden lag ich mit starken Schmerzen auf der Matte, da die Gegnerin mir in mein linkes Knie gesprungen war. Trotz des lauten Krachens im Knie und der Schmerzen, wollte ich nicht die Chance verstreichen lassen, ein olympisches kleines Finales zu kämpfen. Als ich nach einigen Minuten ärztlicher Behandlung wieder aufstand und den Kampf fortführte, konnte man wahrscheinlich sehen, dass ich mich nicht mehr wehren konnte. Für mich war es trotzdem wichtig, den Kampf nicht abbrechen zu lassen und mit einer Aufgabe von der Matte zu gehen. Ich denke, das Adrenalin hat dabei eine nicht unwichtige Rolle gespielt. Denn schon wenige Minuten nach dem Kampf konnte ich kaum noch auftreten und hatte immer stärker werdende Schmerzen.
Diagnose: hinteres Kreuzband und Wadenmuskel sind fast vollständig abgerissen. Außenband und Kniekehlenmuskel angerissen. Statt Urlaub und Erholung standen nun Physiotherapie und Reha auf dem Programm. Eine Operation war glücklicherweise nicht notwendig.
Trotz dieser Achterbahnfahrt bleibt das olympische Erlebnis unvergesslich und ich habe viele positive Erinnerungen an die Zeit in Paris. Ich bin dankbar für die Unterstützung, die ich von meiner Familie, Freunden, Trainern, Trainingskolleginnen, Physios, meinem Heimatverein, der Gemeinde Neuried, Bekannten und Unbekannten erhalten habe und auch immer noch spüre! Danke, dass ihr da seid!
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